Halsband oder Geschirr?
Ob Hundehalter ihren Vierbeinern ein Halsband oder ein Geschirr anlegen sollten, ist eine der am kontroversesten geführten Diskussionen in der Hundewelt. Werden Hunde besser mit einem Halsband oder einem Brustgeschirr geführt? Sollten sie ausschließlich ein Halsband tragen? Oder wechselt man zwischen beidem? Die Debatte ist emotional aufgeladen – in Hundeschulen, im Alltag und vor allem im Internet. Es gibt leidenschaftliche Befürworter beider Seiten, die jedoch oft mit Vorurteilen gegenüber der „anderen Fraktion“ verbunden sind. In diesem Beitrag klären wir mit Hilfe unserer Tierärztin Dr. Julia Vietmeier über Vor- und Nachteile auf und nehmen Vorurteile unter die Lupe.
Geschirr oder Halsband? Die Leinenführigkeit ist entscheidend
Zu dieser Frage gibt es keine einfache Antwort, da beide Varianten Vor- und Nachteile haben. Problematisch wird es dann, wenn Hunde nicht gelernt haben, locker an der Leine zu laufen. In solchen Fällen wirken beim dauerhaften Ziehen oder Leinenruck erhebliche Kräfte auf den Hundekörper – und es macht einen großen Unterschied, wo genau diese Kräfte wirken.
Halsband – darauf solltest du Rücksicht nehmen
Das Halsband liegt an einem hochsensiblen Bereich des Hundekörpers. Am Halsbereich befinden sich einige wichtige, anatomische Besonderheiten, auf die Halter Rücksicht nehmen sollten:
- Luftröhre, Schilddrüse und Kehlkopf
- große Blutgefäße und Nerven
- Halswirbelsäule
Durch Druck in diesem Bereich können folgende gesundheitliche Schäden entstehen:
- Mechanische Schäden am Gewebe oder Ischämien (Durchblutungsstörungen)
- Probleme im Kiefer- und Schultergürtelbereich, z. B. Muskelverspannungen
- Symptome wie Unruhe, Müdigkeit oder Reizbarkeit
- Langfristig: Bewegungseinschränkungen oder Lahmheiten der Vorderläufe
Die richtige Wahl des Hundehalsbandes
Wenn du dich für ein Halsband entscheidest, solltest du dir vor Augen führen, wie leinenführig dein Welpe oder ausgewachsener Vierbeiner ist. Läuft er beim Spaziergang locker an der Leine? Zieht er dauerhaft? Oder springt er regelmäßig in die Leine? Läuft dein Vierbeiner sicher, entspannt und locker an der Leine, ist die Wahl des Halsbandes nicht so entscheidend. Hier kann man sich das Halsband aussuchen, welches einem am besten gefällt.
Kommt es aber häufiger vor, dass dein Hund an der Leine zieht oder ruckartig in die Leine läuft, hilft es, ein möglichst breites Halsband zu wählen. Hier wird der Zug gut auf den Hundehals verteilt und es kommt nicht so schnell zu Druckspitzen in dem sensiblen Gewebe. Ein Halsband, das mindestens zwei Halswirbel überspannt, ist hier gut geeignet.

Tierärztin Dr. Julia Vietmeier:
“Ein breites Halsband sollte weich sein, um die Bewegungsfreiheit der Halswirbelsäule nicht einzuschränken. Zwischen Halsband und Hundehals müssen zwei Finger passen, um den Hund nicht einzuengen. Allerdings solltest du darauf achten, dass dein Hund nicht mit seinem Kopf aus dem Halsband herausschlüpfen kann.”
Sind Brustgeschirre schonender für den Hund?
Brustgeschirre verlagern den Druck von den empfindlichen Halsregionen auf den Brustkorb des Hundes, was grundsätzlich als schonender gilt. Die gelenkigen Rippen, die Brustwirbelsäule und das Brustbein formen einen knöchernen Käfig zum Schutz der inneren Organe wie Lunge und Herz. Ein gut sitzendes Führgeschirr mit gepolsterten Schnallen und Gurten kann den Zug der Leine günstiger verteilen. Es gibt verschiedene Arten von Brustgeschirren. Die unterschiedlichen Passformen sind hilfreich, damit du das richtige Geschirr für die individuelle Körperform deines Hundes finden kannst. Wichtig ist auch, das passende Geschirr je nach Einsatz oder Anlass, z. B. für den Hundesport oder für Assistenzhunde, auszuwählen.
Nachteile von Hundegeschirren
Fakt ist jedoch, dass jedes Hundegeschirr, egal wie gut es sitzt, die Bewegungsabläufe des Hundes etwas verändert. Dies ist nicht immer schlimm und kann sogar als Trainingseffekt genutzt werden. Allerdings kann ein unpassendes Geschirr schnell zu deutlichen Fehlbelastungen führen. Diese machen sich durch Muskelverspannungen und Schmerzen bemerkbar und können langfristig schlimmstenfalls zu orthopädischen Problemen führen.
So sind Brust- und Sicherheitsgeschirre auch nicht frei von Nachteilen:
- Falsch sitzende Geschirre können die Bewegungsfreiheit der Hunde einschränken.
- Wenn das Geschirr scheuert oder der Bauchgurt zu eng sitzt, kann es zu Verhaltensproblemen oder Fehlhaltungen kommen.
- Hundegeschirre werden nicht von allen Hunden toleriert. Viele fühlen sich beim Tragen eines Geschirrs unwohl und wollen sich nicht bewegen.
- Laut einer Studie können sogenannte Y-Geschirre sogar stärker in die Bewegungsabläufe des Hundes eingreifen, als bisher angenommen. Die Y-Geschirre wurden mit Norwegergeschirren, die in der Kritik stehen, Hunde in der Bewegung einzuschränken, verglichen. Doch überraschenderweise zeigten die Hunde, die das Y-Geschirr trugen, mehr Bewegungseinschränkungen als Hunde mit Norwegergeschirr. Trotzdem muss hier noch viel intensiver geforscht werden, um solche Aussagen wirklich zu belegen.
Eine Studie aus Ungarn konnte beweisen, dass alle getesteten Hundegeschirre die Gangmuster der Hunde veränderten. Es gibt also keine Einheitslösung – jedes Geschirr muss individuell angepasst werden. Das bezieht sich sowohl auf die Körperform des Hundes als auch auf die Anwendung im Einzelfall.
Halsband oder Geschirr beim Hund: Studie an der Universität Jena (H2)
Erste Studien legen nahe, dass sogar „ergonomische“ Geschirre zu einer signifikanten Bewegungseinschränkung des Hundes führen können. Das widerspricht dem Marketing vieler Hersteller, allerdings ist die Forschungslage noch nicht umfassend – es braucht mehr objektive Daten, die unter realistischen Alltagsbedingungen erhoben werden.
Wie bewegen sich nun unsere Hunde? Gibt es rassebedingte Unterschiede? Wo darf ein Geschirr anliegen und wo sollte es Freiraum bieten? Unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Fischer untersuchte ein Forschungsteam an der Universität Jena die Bewegungsabläufe von über 300 Hunden aus 32 verschiedenen Rassen – vom Chihuahua bis hin zum Windhund. Dies ist die bislang umfassendste Studie zur Hundebewegung, die veröffentlicht wurde.
- Das Ziel der Studie:
Wie bewegen sich Hunde verschiedener Größen und Körperformen tatsächlich? Der Fokus liegt auf den Gelenken, Muskeln und der Wirbelsäule.
- Die Methode:
Für aussagekräftige Ergebnisse wurden
- Hochgeschwindigkeitskameras,
- eine Marker-basierte Bewegungsanalyse (wie im Profisport) und
- die biplanare Röntgenvideografie (zeigt die Bewegung der Knochen im Inneren) eingesetzt.
3. Zentrale Erkenntnisse:
- Alle Hunde laufen nach dem gleichen biomechanischen Grundmuster, unabhängig von Rasse oder Körperbau.
- Die Wirbelsäule spielt eine aktiv mit steuernde Rolle bei der Fortbewegung – sie ist nicht nur ein „statisches Verbindungselement“.
- Die Bewegung des Schulterblattes ist in der Vorwärtsbewegung der Vordergliedmaße wesentlich wichtiger als früher angenommen. Das Schulterblatt rotiert um 35 %, die Schulter des Hundes bewegt sich dabei kaum.
Anhand dieser Studie lassen sich viele Erkenntnisse für die Entwicklung von Hundegeschirren ableiten – das Thema Hundebewegung kann man nun völlig neu betrachten.
6 Praxis-Tipps & Empfehlungen von der Tierärztin
Die Entscheidung für ein Halsband oder Geschirr ist von einigen Faktoren abhängig. Tierärztin Dr. Julia Vietmeier gibt 6 wertvolle Tipps:
- Wichtig ist nicht nur die Wahl des Führsystems, sondern vor allem die Leinenführigkeit deines Hundes. Um die Leinenführigkeit zu trainieren, können ein guter Hundetrainer, Geduld, liebevolle Konsequenz und Leckerlis als Hilfsmittel unterstützen.
- Hunde sollten idealerweise an beide Varianten gewöhnt sein, um flexibel in verschiedenen Situationen reagieren zu können (z. B. Tierarztbesuch, Freilauf, Krankheiten, etc.)
- Individuelle Passform und Qualität des Geschirrs sind entscheidend – es gibt keine Lösung, die für alle Hunde gleichermaßen passt!
- Idealerweise überprüft ein Bewegungsspezialist, ein chiropraktisch arbeitender Tierarzt oder Physiotherapeut, das Bewegungsverhalten deines Hundes regelmäßig. So werden erste Probleme behandelt, bevor sie zu ernsthaften Einschränkungen führen. Bewegungsspezialisten nehmen auf die speziellen Bedürfnisse des einzelnen Hundes und Erkrankungen, wie einen Bandscheibenvorfall oder eine Schilddrüsenerkrankung, Rücksicht. Anhand der Ergebnisse können sie dich beraten, welches Führsystem für deinen Hund das richtige ist.
- Bei der Wahl eines Hundegeschirrs solltest du auf fachlichen Rat vertrauen. Zusammen mit einem geschulten Berater könnt ihr das individuell richtige Geschirr finden.
- Empfehlenswert ist ein Wechsel zwischen unterschiedlichen Geschirren, um eine ausgewogene Belastung des Hundes zu erreichen – ähnlich wie ein Jogger, der unterschiedliche Schuhe zum Training nutzt.
Fazit: Halsband oder Geschirr? Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine individuelle Entscheidung, die du abhängig von deinem Hund, seinem Trainingsstand, seiner Gesundheit und euren Alltagssituationen treffen solltest. Es braucht mehr Sachlichkeit und weniger Ideologie in der Diskussion rund um dieses Thema, denn die Gesundheit und Lebensfreude unserer Vierbeiner sollte immer an erster Stelle stehen!

Tierärztin Dr. Julia Vietmeier
ist promovierte Fachtierärztin und setzt in ihrer Praxis auf Chiropraktik und Akupunktur.
Sie legt großen Wert auf die ganzheitliche Behandlung ihrer vierbeinigen Patienten.